Ein Interview mit Gisela, einer erfahrenen Spitex-Pflegefachfrau, die seit 40 Jahren in der Pflege arbeitet und seit 10 Jahren für careanesth tätig ist. Sie spricht über die Veränderungen in der Spitex, die Herausforderungen im Berufsalltag und warum sie ihre Arbeit bis heute als erfüllend empfindet.
Publié le 12.03.2025 in Témoignages | 0
Gisela, du arbeitest schon seit 40 Jahren in der Pflege. Wie hat alles begonnen?
Gisela: Ich habe meine Ausbildung als Sarnerschwester gemacht und 1986 meinen Abschluss als dipl. Gemeindekrankenschwester erhalten – damals ein Pilotkurs, der vom Roten Kreuz anerkannt war. Die Sarner dipl. Gemeindekrankenschwestern wurden ursprünglich ins Leben gerufen, um die häusliche Pflege zu professionalisieren und Versorgungslücken in der Gemeinde zu schliessen. Die Ausbildung war praxisorientiert und legte den Grundstein für die moderne Spitex-Pflege. Denn genau das war unsere Aufgabe: Menschen in ihrem Zuhause zu pflegen und sie in ihrem Alltag zu unterstützen.
Was hat dich dazu bewogen, all die Jahre in der Spitex zu bleiben?
Gisela: Für mich bedeutet Pflege, den Menschen ins Zentrum zu stellen – und genau das finde ich in der Spitex.
Ich habe ein paar Jahre in einem Spital und auch eine kurze Zeit in der Langzeitpflege gearbeitet – die Spitex ist jedoch genau das, wo ich mich wohlfühle!
Ich schätze die Nähe zu den Klienten, die persönliche Begleitung und die Möglichkeit, Menschen in ihrer gewohnten Umgebung zu unterstützen. Es ist nicht wie im Spital, wo die Patienten unsere Gäste sind – bei der Spitex sind wir die Gäste im Zuhause der Klienten. Das verändert die Dynamik und macht die Pflege viel persönlicher.
Du hast in vielen Teams gearbeitet – seit 10 Jahren temporär. War das immer deine Vorstellung?
Gisela: Nein, ganz und gar nicht! Als ich jünger war, war für mich klar: Ich werde niemals temporär arbeiten. Es schien mir zu unsicher – kein regelmässiges Einkommen, keine Garantie auf Arbeit, kein festes Team, das einem Rückhalt gibt.
Es gab den Moment, an dem ich ernsthaft überlegt habe, die Pflege zu verlassen. Verschiedene Umstände haben mich an einen Punkt gebracht, an dem ich dachte, dass es Zeit für eine Veränderung sei. Doch bevor ich diesen Schritt wirklich gegangen bin, habe ich einen temporären Einsatz angenommen – und genau das war die richtige Entscheidung.
Temporäres Arbeiten gibt mir heute die Freiheit, die ich brauche. Ich kann selbst bestimmen, wann und wie viel ich arbeite. Ich bin nicht mehr an starre Strukturen gebunden, sondern kann in unterschiedlichen Teams arbeiten und meine Erfahrungen vielseitig einbringen. Zudem habe ich die Möglichkeit, verschiedene Arbeitsweisen und Abläufe kennenzulernen – das hält mich fachlich auf dem neuesten Stand und bringt immer wieder neue Impulse.
Ein weiterer grosser Vorteil ist die Abwechslung: Jedes Team, in dem ich arbeite, ist anders. Dadurch kann ich flexibel auf unterschiedliche Herausforderungen reagieren und mich immer wieder neuen Situationen anpassen und einbringen. Gleichzeitig gibt es mir Sicherheit zu wissen, dass ich gebraucht werde – denn gute Pflegefachpersonen werden überall gesucht.
Ich hätte nie gedacht, dass mir diese Art des Arbeitens so zusagen würde, aber heute kann ich mir nichts anderes mehr vorstellen. Temporär zu arbeiten, bedeutet für mich Unabhängigkeit, Vielseitigkeit und die Möglichkeit, meinen Beruf so auszuüben, wie es für mich am besten passt.
Wie hat sich die Spitex-Arbeit über die Jahre verändert?
Gisela: Früher war der Fokus rein auf die Pflege gerichtet. Wir hatten Block und Bleistift dabei, haben uns auf den direkten Kontakt mit den Klienten konzentriert. Heute hat sich das stark verändert – Zeit und Leistungen müssen genau erfasst werden, alles wird dokumentiert, vor allem für die Krankenkassen. Die Abrechnung erfolgt mittlerweile minutengenau, was den administrativen Aufwand stark erhöht hat.
Auch die Patientensituation hat sich verändert: Menschen werden heute viel früher aus dem Spital entlassen und brauchen dadurch intensivere Betreuung zu Hause. Das bedeutet, dass Spitex-Pflegekräfte oft anspruchsvollere und komplexere Pflegeleistungen übernehmen.
Gibt es Erlebnisse, die dich besonders berührt haben?
Gisela: Viele! Ein Beispiel bleibt mir besonders in Erinnerung: Ich betreute eine Frau, die bei einem Unfall ihren Mann verloren hatte und eine Unterschenkelamputation durchmachen musste. Sie war verbittert und verschlossen. Ich half ihr beim Duschen und fragte sie dabei vorsichtig nach dem Unfall. Plötzlich begann sie zu erzählen, es sprudelte nur so aus ihr heraus – danach war sie wie ausgewechselt. Sie war entspannter, fast erleichtert.
Solche Momente generieren mir Kraft und Sinn für meine Arbeit. Mir ist wichtig, positive Erinnerungen bei den Klienten zu wecken und sie emotional zu unterstützen, nicht nur körperlich zu pflegen.
Was sind die grössten Herausforderungen bei der Spitex?
Gisela: Die Persönlichkeit und die Biografie der Klienten spielen eine grosse Rolle. Nicht jeder nimmt Hilfe gerne an, manche sind misstrauisch oder sogar ablehnend. Es braucht viel Energie und Zeit, um Vertrauen aufzubauen.
Auch das Arbeiten allein kann herausfordernd sein. In einem Spital oder Pflegeheim gibt es immer Kolleginnen und Kollegen, die sofort helfen können. In der Spitex muss ich oft allein Entscheidungen treffen und mich selbst organisieren.
Welche Eigenschaften sollte jemand mitbringen, der in der Spitex arbeiten möchte?
Gisela: Ruhe, Gelassenheit und Offenheit. Man muss auf alles gefasst sein und schnell auf unvorhergesehene Situationen reagieren können. Flexibilität ist entscheidend, genauso wie eine gute Selbstorganisation.
Vor allem aber muss man den Menschen in den Mittelpunkt stellen – nicht die Diagnose oder Krankheit. Es geht darum, dass sich die Klienten wohlfühlen. Das schönste Kompliment für mich ist, wenn jemand sagt: „Kommen Sie morgen wieder?“
Das Interview zeigt: Die Spitex ist weit mehr als nur ambulante Pflege. Sie erfordert Fachwissen, Empathie und Flexibilität – und sorgt dafür, dass Menschen in ihrem gewohnten Umfeld die Unterstützung erhalten, die sie benötigen.
Vielen Dank, Gisela, für das Interview und deine wertvollen Einblicke in deinen Spitex-Alltag!